

Falt Groschen? Halt die Gosch'n!
Martin Lhotzky in FALTER 41/2014 vom 10.10.2014 (S. 14)
Jetzt hat Vielschreiber Franzobel auch noch einen Krimi geschrieben. Überraschung: "Wiener Wunder" ist gar nicht so übel
Zuerst ist da dieser Hinweis: "Sehr geehrte Kriminalpolizei, in den nächsten Tagen wird ein hierzulande bekannter Sportler einen vermeintlichen Selbstmord begehen. Dabei wird es sich um eine geschickte Inszenierung handeln, die ein Verbrechen verschleiern soll. Mord!
Hochachtungsvoll, ein Fan."
Dann ruft man die Polizei tatsächlich zu einem Toten. Das Opfer scheint aus dem vierten Stock eines Zinshauses gefallen zu sein und hat am Trottoir sein Leben ausgehaucht. Es handelt sich um den Kurzstreckenläufer Wenninger, Spitzname "Strudel", der kürzlich seine höchst erfolgreiche Karriere beenden musste. Blutdoping war noch das Harmloseste, das ihm nachgewiesen werden konnte.
Kommissar Groschen vom Wiener Morddezernat weiß nicht, was er davon halten soll. Seine innere Stimme sowie die anonyme Nachricht überzeugen ihn aber davon, den Fenstersturz nicht sofort als Suizid abzutun. Neben dem eindeutigen Motiv des leidenschaftlichen Läufers für diesen drastischen Schritt hatten auch noch eine Menge anderer Menschen hervorragende Beweggründe, dessen Biografie abzukürzen: die Ehefrau und ihr Liebhaber, der slicke Sportreporter des Boulevardblattes, den "Strudel" offenbar erpressen wollte, sein sogenannter Betreuer, also der für die Blutwäschen zuständige Dealer, sowie ein ominöser Dopingkontrolleur, der sich über das Epitheton "Hühnerschädel" (vom Ermittler, aber auch von zahlreichen weiteren Personen insgeheim verliehen) nicht sehr freuen dürfte.
Dem Vielschreiber Franzobel (bürgerlich: Franz Stefan Griebl) fehlt jetzt eigentlich nur mehr ein Kochbuch in seiner Bibliografie. Dann sollte er mit allem durch sein, was man gemeinhin so schreiben kann: Erzählungen, Lyrik, Kinderbücher, Theaterstücke, Romane, Mini- und Mikrodramen, Glossen – und nun eben auch einen Kriminalroman. Dass er dieses Genre (spät) für sich entdeckt hat, vergleicht Franzobel mit dem Weingenuss für einen Antialkoholiker – berauschend.
An seltsamen Wortspielen, mitunter irrwitzigen und hin und wieder sogar geistreichen Vergleichen ist sein gesamtes uvre bekanntlich nicht gerade arm. Seine Dramen etwa bauen weniger auf stringenter Handlung als auf einer sich stets steigernden Abfolge von Kalauern. Auch im "Wiener Wunder" (so textet später der tatverdächtige Medienungustl Walter Maria Schmierer über den präsumtiven Nachfolger Wenningers) purzeln die schlichten Wortwitze nur so durcheinander.
Man beachte bemüht-witzige sprechende Namen wie eben "Schmierer" oder "Hanns Hallux. Hanns mit zwei ,N'" und nicht zuletzt Kommissar "Falt Groschen". Das reimt sich auch noch schön auf: "Halt die Gosch'n!" Auch mit Kommentaren, die nicht gerade eine Vorliebe für die Emanzipation der Frau erahnen lassen, spart Franzobel nicht, kann sie aber bequem seinem Protagonisten in den Mund legen. Der nennt zum Beispiel die Urlaubsvertretung des Bürodieners, eine Frau aus Aschaffenburg (dies nur um der Anspielung "A-R-schaffenburg" willen), der Einfachheit halber genau wie den Abwesenden: Sedlacek. Abgesehen von diesem Witzeln an der Geschmacksuntergrenze meint der Autor es diesmal aber offenbar ernst.
Der Kriminalfall ist charmant ausgedacht, enthält höchstens eine Drehung zu viel. Daneben bietet er Raum für eine immerhin recht plausible Kritik an Österreichs Spitzensport, inklusive Funktionären, Sponsoren und (Sitten-)Wächtern. Der Ermittler ist nicht unsympathisch, mit gewissen Einschränkungen.
Dass Franzobel, trotz zum Beispiel äußerst realistischer Wegbeschreibungen durch Wien, auf dem falschen Berufstitel "Kommissar" für einen österreichischen Kieberer von Rang besteht, kann man ihm als dichterische Freiheit durchgehen lassen oder als leisen Widerstand gegen eine Unlogik deuten. Spätestens seit 1869 gab es in Wien "Polizeicommissariate", aber Kommissäre hatten per se nichts mit der Kriminalbehörde zu tun.
"Wiener Wunder" ist nicht die beste Wiener Mordermittlung. Als ernstgemeinten Anfang darf man es Franzobel aber durchaus auslegen.