

„Mir war noch nie fad“
Sebastian Fasthuber in FALTER 38/2015 vom 18.09.2015 (S. 42)
Der Schriftsteller Alfred Komarek wird am 5. Oktober 70. Ein Gespräch über Beinahe-Exzesse, den Kollegen Wolfgang Schüssel und seinen Hass auf die Heurigen
Zum Gespräch bittet Alfred Komarek in seine Wiener Wohnung, eine Schatzkiste voller schöner und kurioser Gegenstände, darunter ein Trichtergrammofon. „Jedes Stück erzählt eine Geschichte“, sagt Komarek. Das Erzählen und Schreiben war von Kindheit an seine Art, sich mit der Welt auseinanderzusetzen. Zu später Popularität gekommen, nahen nun der runde Geburtstag und die damit verbundenen Huldigungen. Der Jubilar trägt den Rummel mit Fassung.
Falter: Herr Komarek, waren Sie je ein wilder Hund?
Alfred Komarek: Nein. Ich hab die 68er zwar miterlebt und die Überzeugung mitgenommen, dass sie in irgendeiner Form notwendig waren. Mich hat daran aber die melancholisch-romantische Seite am meisten interessiert. Stichwort: Leonard Cohen. Das war schon der Gipfelpunkt an Wildheit, den ich erreicht habe.
Aufgewachsen sind Sie im Ausseerland. Was war das für eine Atmosphäre?
Komarek: Angeblich verarbeiten die meisten Autoren die Probleme ihrer Kindheit. Damit kann ich nicht dienen. Ich habe in meiner Kindheit die Batterien aufgeladen, von denen ich heute lebe. Für ein Kind ist das Ausseerland ein einziger Abenteuerspielplatz. Zusammen mit einer lebenslustigen Mutter und einem toleranten Vater ergab das für mich eine riesige Freiheit. Mein Vater hat mich auch klug gelenkt, als ich sagte, ich möchte vom Schreiben leben.
Was hat er darauf gesagt?
Komarek: Dass er auch gern vom Schreiben leben würde. Aber er hat bezweifelt, dass man das kann. Ob ich nicht vielleicht vorsichtshalber einen Zweitberuf ergreifen möchte. Das habe ich eingesehen. Leider ist mein Vater schon im Jahr meiner Matura gestorben.
Ihr Vater war Lehrer und hat Sie auch unterrichtet. War das unangenehm?
Komarek: Überhaupt nicht. Ich bin einmal mit einem „Sehr gut“ nach Hause gekommen. Er hat gesagt: „So gut bist du nicht.“ Das ist zum Aufwachsen ideal, dann wächst man in die richtige Richtung.
Sie hatten in Bad Aussee auch prominente Mitschüler.
Komarek: Es war eine Privatschule. Mit viel Geld und guten Beziehungen war es möglich, hier vielleicht doch noch die Matura zu schaffen. André Heller war ein paar Klassen unter mir, der Rennfahrer Jochen Rindt eine Klasse über mir. Ich habe das damals überhaupt nicht realisiert, ich habe nur gemerkt, das sind keine Ausseer.
Sie haben in Wien zunächst Jus studiert. Gern?
Komarek: Ja. Ich habe mich immer sehr für Recht und Gerechtigkeit interessiert. Leider ist das Studium nach der zweiten Staatsprüfung langweilig geworden. Da kommt das aktuelle Recht dran, das sind schlecht gemachte Gesetze in schlechtem Deutsch. Das hat mich nicht mehr interessiert. Und ich habe nebenbei schon gut beim Rundfunk verdient.
Tatsächlich konnten Sie schnell vom Schreiben leben.
Komarek: Ich musste. Ich kam als Werkstudent nach Wien und hatte wirklich wenig Geld. Mein großes Glück war die Rundfunkreform 1967. Es hat einen Riesenbedarf an Autoren gegeben, die fürs Radio schreiben, Regie machen oder Sendungen erfinden. In den ersten Jahren habe ich fast täglich zwei, drei Sendungen gemacht.
Bei Ö3 haben Sie André Heller wieder getroffen.
Komarek: Und ich habe viele andere Leute kennengelernt, die später leider Gottes zu etablierten, reduzierten Politikern geworden sind. Die gingen damals in der Jugendredaktion ein und aus. Jetzt fällt mir doch noch eine Wildheit ein: Damals haben wir auch Schulfunk gemacht. Diese Sendungen mussten von einem Ministerialrat, der Mundgeruch hatte, approbiert werden. Ich bin heute noch stolz darauf, dass ich den Rekord an nichtapprobierten Schulfunksendungen hatte. Meine Sendungen waren nicht fad genug.
Sie leben seit vielen Jahren als freier Autor, zunächst als Journalist, später als Schriftsteller. Gab es auch Durststrecken?
Komarek: Natürlich. Nach den ersten Jahren bei Ö3 bin ich draufgekommen, dass ich zwar riesig gut verdient habe, aber keinen Namen hatte. Ich habe immer im Namen eines Abteilungsleiters gearbeitet. Als wir uns zerstritten haben, bin ich zu Ernst Grissemann gegangen. Der hat mich nicht einmal gekannt. Auch damals musste man in der Mediengesellschaft schon eine Marke sein. Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich mich wieder aufgerappelt habe. Später kam noch eine zweite Krise, da bin ich zu einer kleinen Werbeagentur gegangen und habe ein, zwei Jahre gar nicht schlecht verdient.
Für Zgonc haben Sie den Slogan „Raunz nicht, kauf!“ erfunden. Was könnte man noch kennen?
Komarek: Sonst habe ich nichts wirklich Erfolgreiches gemacht. Als es mit dem normalen Schreiben wieder weitergegangen ist, habe ich damit auch wieder aufgehört.
Sie haben auch Songtexte geschrieben, zum Beispiel für Chris Lohner.
Komarek: Das ging quer durch, bis zur Edita Gruberová. Angefangen hat es mit den Milestones, für die habe ich ernsthafte Texte geschrieben. Es hat auch fürchterliche Sachen gegeben, bei denen es nur ums Geldverdienen ging. Ich habe nie einen Text geschrieben, der mir gegen das Gewissen gegangen wäre, aber ich habe auch keine Berührungsängste gehabt. Die schlimmsten Texte liefen unter dem Pseudonym Alfred Schilling, damit gleich jeder weiß, worauf es mir ankommt.
Wie waren die 70er und 80er für freie Autoren, verglichen mit heute'
Komarek: Paradiesisch. Es war leicht, Geld zu verdienen, und es gab sehr anständige Partner. Eine Zeit lang habe ich sehr erfolgreich die zweite Wahl gemacht. Wenn Helmut Gansterer nicht konnte, habe ich den Text geschrieben. Man steht zwar nicht in der Sonne, kriegt aber auch keine Watschen.
1998 haben Sie gemeinsam mit Wolfgang Schüssel „Das rotweißrote Weltkugelbuch“ gemacht. Wie kam das?
Komarek: Wir haben miteinander studiert, er hat den Doktor gemacht, ich nicht. Ich habe ihm gesagt: „Ich schreibe das Buch nur, wenn du mir nicht in den Text hineinregierst.“ Das hat er akzeptiert.
Wie waren die Reaktionen?
Komarek: Alle haben geglaubt, ich habe meine Unschuld verkauft. Ich habe kaum 20.000 Schilling bekommen für gut ein halbes Jahr Arbeit. Interessanterweise hat sich in den Medien danach niemand über das Buch aufgeregt. Im Falter wurde lediglich angemerkt, dass ich das Thema Familie ein bisschen sehr betone.
Sie waren über 50, als Sie Ihren ersten Roman vorlegten. Warum so spät?
Komarek: Ich habe mich nie für einen Dichter gehalten, sondern für einen schreibenden Handwerker. Eine befreundete Grafikerin meinte, ich soll endlich einen Roman schreiben. Ich habe mir gedacht, ich kann das nicht, ich bin ja schon auf Seite drei fertig. Dann habe ich halt einen Krimi probiert. Da hatte ich die Auflösung eines Kriminalfalls als Geländer zum Anhalten und konnte mich nebenbei erzählerisch betätigen. Die Idee war, den Mord und seine Aufklärung als Schlüssel zum Verständnis eines Lebensraumes zu sehen, mit all den Verwerfungen und Brüchen in einer vordem so geordneten Gesellschaft.
Das Weinviertel. Hatten Sie Ihr Presshaus damals schon?
Komarek: Ja. Und ich habe Gendarmen aus der Gegend gekannt mit ihrem Zwiespalt zwischen dem, was sie privat meinen, und dem, was in der Dienstordnung steht. Dieser Konflikt hat mich interessiert. Zuerst habe ich aber nur Ablehnung geerntet. Die Lektorin von Styria hat mir geschrieben: „Das ist ja ganz nett, aber ich bin schon auf Seite 30 und es ist noch nichts passiert.“ Ich habe zurückgeschrieben: „Es wird auch nichts mehr passieren, tut mir schrecklich leid.“ Der damalige Haymon-Verleger Michael Forcher hat gesagt, er mag den Text, er macht ihn. Er rechnete allerdings mit kaum mehr als 800 verkauften Exemplaren. Aber dann ist die Sache ins Laufen gekommen.
Sie teilen Ihre Zeit auf Ihre Wiener Wohnung, Ihr Elternhaus in Aussee und das Weinviertel auf. Wo schreiben Sie?
Komarek: Konzipieren kann ich überall, schreiben nur in Wien. Hier im Nebenzimmer sehen Sie meine Folterkammer. Da steht alles, was ich brauche: Computer, Kaffeemaschine, Kühlschrank, die wichtigsten Bücher. Es gibt keinen Grund aufzustehen. Bei Büchern sitze ich von sieben bis sieben meine Pflichtzeit ab, auch wenn nix weitergeht. Kaffee plus Leidensdruck, das ist die beste Droge beim Schreiben.
In Ihren Romanen wird ordentlich gebechert. Wie halten Sie es damit?
Komarek: Niemals bei der Arbeit, beim Schreiben ist Alkohol sehr gefährlich. Es geht schnell, dass es ohne nicht mehr geht, das habe ich bei einigen Kollegen beobachtet. Und dann geht gar nichts mehr. Leute wie H.C. Artmann, die trotzdem gut weitergeschrieben haben, machen vielleicht zwei, drei Prozent aus.
Bier oder Wein?
Komarek: In Wien Bier zum Müdwerden, im Weinviertel Wein. Mitten in den Weingärten oder im Weinkeller schmeckt ein Wein viel besser als aus dem Kühlschrank. Zum Glück bin ich ein großer Neinsager, sonst hätte ich in der Kellergasse nicht überlebt. Ich habe mit den Weinbauern nur zwei-, dreimal wacker mitgehalten. Dann habe ich gesagt: So, jetzt wisst ihr, dass ich das kann, jetzt muss ich aber nicht mehr.
Wie kam es zu dem neuen Roman „Alter, aber Polt“? Die Reihe war doch beendet.
Komarek: Ja, die Geschichte war erzählt. Allerdings lebt der Kerl in meinem Hinterkopf weiter und meldet sich zu Wort, wenn es ihn freut. Inzwischen ist er ein ziemlicher Querkopf. Und das Altwerden beschäftigt ihn halt. Mit dem Roman entlasse ich ihn ins Alter. Ich kriege natürlich mit, wie viele schwache Alterswerke herauskommen. Darum habe ich die dreifache Zeit eingeplant und mich wirklich geschunden. Das war jetzt das letzte Hauruck.
Wie Polt gehen Sie in den Keller Ihres Presshauses, wenn Sie Stille suchen. Stille muss man aushalten.
Komarek: Wenn man mit sich selber halbwegs in der Waage ist, geht es. Ich bin mit zwei älteren Brüdern aufgewachsen, die mit mir nicht viel anfangen konnten, und habe frühzeitig gelernt, mit mir selber umzugehen. Mir war noch nie fad. Mit sehr schmerzhaftem Kummer sollte man vielleicht nicht in den Keller gehen. Aber ich kann auch im Bewusstsein einer sehr schmerzlichen Steuernachzahlung runter. Das ist ein schwaches, einsturzgefährdetes Lössgebilde und steht seit 300 Jahren. Was soll ich mich übers Finanzamt aufregen?
Die Romanfigur Polt hat kein Handy. Sie schon?
Komarek: Ein 15-Euro-Handy. Ich bin im Notfall erreichbar, wobei nur fünf Leute die Nummer haben. Bei Smartphones sehe ich die Notwendigkeit nicht. Ich bin aber irrsinnig neugierig, mich interessiert jede technische Entwicklung. Ich war einer der Ersten, die mit einer elektronischen Schreibmaschine geschrieben haben. Dort drüben steht eine, die mir Daniel Spoerri geschenkt hat. Abends sitze ich hier mit meinem Tablet und höre die Podcasts quer durch Europa, weil ich immer noch ein Radiomensch bin.
Ihr Verhältnis zu Wien?
Komarek: Ist sehr differenziert. Ich mag das Grätzel hier im Neunten sehr gern, nach weit über 40 Jahren bin ich sehr vertraut mit diesem kleinen Universum. Ich bin aber nie zum Wiener geworden. Gewisse Aspekte der Wiener Gemütsart ertrage ich überhaupt nicht. Ich glaube, ich war nur drei Mal beim Heurigen. Ich mag die Leute nicht, die dort sitzen.
Die Ausseer sind Ihnen lieber?
Komarek: Die haben eine unglaublich pointierte, sehr boshafte, aber nicht verletzende Art, miteinander umzugehen. Als ich mein Elternhaus hergerichtet habe, habe ich sehr viel Papier weggeschmissen und alle Tonnen überfüllt. Der Mann von der Müllabfuhr hat strafend geschaut. Ich habe gesagt, dass es nicht mehr vorkommen wird. „Werden halt Bücher sein von dir“, hat er gesagt. Herrlich.
Sie haben einmal geschrieben, dass Sie gesellschaftlich der Blutgruppe 0 angehören. Das heißt?
Komarek: Mich sieht kein Kellner. Ich habe auch nie irgendwo dazugehört. Dabei bin ich nicht menschenscheu, nur wählerisch. Leuthoakel, so nennt man das im Ausseerland. Smalltalk halte ich für Zeitverschwendung. Die seelische Reife von Telemax, der nicht mal zu seinen eigenen Buchpräsentationen hingeht, habe ich noch nicht erreicht. Aber ich bin der Erste, der nach dem offiziellen Teil weg ist. Ich gehe nicht mit dem Herrn Raiffeisendirektor essen. Oder ich sage: Das kostet extra.
Mir ist aufgefallen, Ihre Auszeichnungen hängen alle auf dem Klo.
Komarek: Das ist keine Missachtung. Das Häusl ist ja ein kontemplativer Raum. Da sitze ich und denke mir manchmal: Na ja, nicht schlecht.