

Lieber Schnaps und Bier
Tiz Schaffer in FALTER 18/2013 vom 03.05.2013 (S. 45)
Der literarische Sammelband "Extrakt" ist die aktuelle Nachricht aus dem Forum Stadtpark. Der Versuch, eine Szene zu behaupten
Ich sollte einen kurzen Beitrag für eine Anthologie oder so schreiben, weil ich durch Zufall in irgendeinen netten Laden in Graz geraten war (
). Ich habe allerdings Liebeskummer, Rückenweh und der aus Griechenland geflohene Zwischenmitbewohner jammert mir die Ohren zu, wegen der Krise in seinem Land (
). Daher trank ich lieber Schnaps und Bier." Tja, man kann der Aufforderung, sich an einem literarischen Sammelband zu beteiligen, auch so nachkommen, wie es der deutsche Autor Karl Rauschenbach tat. Der Laden, von dem er hier spricht, ist das Forum Stadtpark. Und die Anthologie heißt "Extrakt. forum stadtpark literatur 2010–2012". Sie versammelt Texte sämtlicher Literaten, die in den letzten drei Jahren im Forum Stadtpark aufgetreten sind.
Dass der Zeitraum die letzten drei Jahre umfasst, hat folgenden Grund: So lange ist Max Höfler der Literaturbeauftragte des Forums Stadtpark und veranstaltet regelmäßig die Lesereihe "Extra" – worauf der Buchtitel ja auch Bezug nimmt. Höfler ist Grazer Literat, voriges Jahr wurde er mit dem Landeskulturpreis für Literatur ausgezeichnet. Die Anthologie ist aber nicht nur ein Rückblick auf das, was literaturmäßig im Forum über die Bühne gegangen ist – beinahe 60 Autoren haben auf 144 Seiten Einzug gehalten. Es ist auch ein Statement: der Versuch, einer Szene einen Namen und ein Gesicht zu geben.
Die Frage allerdings, was für eine Szene das nun sei, ist schon schwieriger zu beantworten. Im Gespräch meint Höfler, man könne sie grob als "experimentell" bezeichnen. Es sind Autoren, die es "im Literaturbetrieb ziemlich schwer haben". Deren Arbeit würde sich, so führt er im Vorwort aus, "aus den Ideen der klassischen Avantgarde wie auch jenen der Neo-Avantgarden" speisen. Trifft allerdings nicht immer zu. Franzobel? Passt wohl nicht mehr in dieses Schema. Gerhard Rühm? Gehört selbst zur kanonisierten Avantgarde. Trotz Ausreißern betreibt die Anthologie aber keinen Etikettenschwindel.
Denn sie bildet schon gut ab, wofür das Forum heute steht, welche Literaten eine wirkliche Nähe zum Haus haben, nicht bloß zum Behufe einer Lesung durchgewinkt wurden. Sarah Foetschl, Stefan Schmitzer, Helmuth Schranz, Johannes Schrettle oder Ralf B. Korte etwa gehören dem Kreis der näher Assoziierten an. Aber auch Lilly Jäckl, Alexander Micheuz, Sophie Reyer, Christoph Szalay oder Gerhild Steinbuch sind wohl Autoren, die eine stärkere Affinität zum altehrwürdigen Künstlerverein im Stadtpark aufweisen. Auffällig sind vor allem zwei Achsen: jene zum Literaturverlag Ritter und zum Grazer Literaturmagazin Perspektive. Wohl nicht zuletzt auch über die Perspektive hat sich eine handfeste Berlin-Connection aufgetan. Nicht wenige der im Buch angeführten Autoren stammen aus der deutschen Hauptstadt. Etwa auch Bert Papenfuß, der in Berlin eine "Kulturspelunke" namens Rumbalotte continua betreibt, wo die Lesungen des Forums regelmäßig gestreamt werden. Auffällig auch, dass man kaum Literaten findet, die nur schreiben. Die meisten haben Anbindung zur bildenden Kunst oder zur Performancekunst, sind Herausgeber oder sonst wie kulturell aktiv. Und leben, wie Höfler es formuliert, von der "Hand in den Mund".
Als der Band vorige Woche im Forum Stadtpark präsentiert wurde, war auch der deutsche literarische Essayist Sebastian Kiefer zu Gast. Er nahm das Werk, besser gesagt den seiner Ansicht nach bemühten Versuch, mit der Publikation mit etwas brechen zu wollen, ein wenig in die Mangel. Denn der Bruch mit der Tradition, dem Mainstream, der konventionellen Literatur und überhaupt diese ständige Erneuerungsrhetorik seien ohnehin längst schon eine Lifestyle-Pose. Da mag er recht haben. Aber solche Abgrenzungs- und Selbstdefinitionsversuche sind wohl gerade für eine Szene, die kaum am Betrieb, schon gar nicht am Markt partizipiert, wohl unverzichtbar. Und dieses proklamierte Szeneverständnis mag auch dem Literaturfreund helfen, zu dem, was Höfler eben "experimentell" nennt, leichter Zugang zu finden.
Denn einige der "Extrakt"-Kurzbeiträge erschließen sich doch recht schwer, fordern zumindest volle Aufmerksamkeit und legen sich selbst dann mitunter quer. Doch abseits davon dürfen die typografisch und vom Layout durchwegs unterschiedlich aufgezäumten Gedichte und Auszüge auch mit gängigen Attributen belegt werden: humorvoll (die "Hinterngedichte" von Alexander Micheuz), reizend (das Gedicht "Ohne Titel" von Ilse Killic) oder originär (die sogenannten Stadtabschreibungen von Barbi Markovic). Und so manche Sätze, wie die von Margret Kreidl, bekommt man anderswo tatsächlich kaum zu lesen: "Ich mache das Fenster auf. Das ist das Gartenzimmer, sagt sie. Von hier aus sieht man den Garten. Ich beuge mich aus dem Fenster. Was siehst du, fragt sie und drückt die Zigarette in meinem Nacken aus."