

Menasses Europa-Plädoyer: Der Kampf mit der Kröte
Sebastian Fasthuber in FALTER 19/2024 vom 10.05.2024 (S. 22)
Sein Eifer ist bewundernswert. Unter den Autoren und kritischen Intellektuellen ist der österreichische Autor Robert Menasse ein - allerdings recht einsamer -Verfechter einer gemeinsamen europäischen Politik. Nach den beiden EU-Romanen "Die Hauptstadt"(2017) und "Die Erweiterung" (2022) legt er nun einen Essay zum Thema vor.
Der Titel "Die Welt von morgen" ist eine Anlehnung an Stefan Zweigs "Die Welt von Gestern", in dem dieser wehmütig auf das kosmopolitische Europa vor 1914 zurückblickte und das Scheitern des europäischen Grundgedankens beklagte.
Nach 1945 bekam Europa als Friedensprojekt eine neue Chance. Inzwischen gilt die daraus hervorgegangene Europäische Union als Dauerbaustelle, auf der nichts weitergeht. Laut Menasse liegt das zu einem Gutteil an einer Vielzahl nationalistisch agierender Politiker, die auch in Brüssel sitzen und das Zusammenwachsen Europas torpedieren würden.
Er beginnt seinen Essay, der ohne klare Struktur durch Zeit und Raum mäandert, mit einem Blick weit zurück. In "Der europäische Niemand", einer Flugschrift aus dem frühen 18. Jahrhundert, findet er bereits "Vorstellungen von einem friedlichen, sozialen Europa, das in kultureller Vielfalt verbunden ist".
Gut 200 Jahre später habe die Gründergeneration des europäischen Einigungsprojekts einen Versuch gestartet, den Nationalismus zu überwinden. In den 1960ern sei die kollektive Stimmung eine Zeit lang für diese Ideen empfänglich gewesen. Als Belege dienen ihm Science-Fiction-Klassiker wie "Perry Rhodan" und "Raumpatrouille Orion", wo es im Intro hieß: "Hier ist ein Märchen von übermorgen. Es gibt keine Nationalstaaten mehr, es gibt nur noch die Menschheit."
Heute ist davon nichts mehr zu spüren. Den Status quo der EU beschreibt Menasse als "kompliziertes, lähmendes Ausbalancieren sogenannter nationaler Interessen". Da könnte man beinahe zum Habsburg-Nostalgiker werden, stellt er erstaunt fest.
Vieles, was er in seinem Europa-Plädoyer darlegt, das auf eine gemeinsame transnationale Politik als Rettung vor dem grassierenden Nationalismus hinausläuft, erscheint nachvollziehbar und sinnvoll.
Nur trifft auf "Die Welt von morgen" zum einen das alte Problem zu, dass jene, die dieses Buch lesen werden, ohnehin schon ähnliche Gedanken hegen. Andere, die die Lektüre vielleicht nötiger hätten, werden es nie zu Gesicht bekommen.
Und leider ist der Text nur dann mitreißend, wenn der Schriftsteller Menasse -Autor zahlreicher Romane - die Position des politischen Kommentators verlässt, um persönlich zu werden, oder ins Erzählen gerät.
Über die Frage, ob die aktuelle Situation der EU mehr Gründe für Optimismus oder Pessimismus bietet, kommt er zum bewährten wie abgedroschenen Bild vom Glas, das halb voll oder halb leer ist, und wird emotional: "Wie mich diese Phrase nervt! Es geht doch darum, ob wir die Möglichkeit haben, nachzuschenken!"
Später nimmt er uns noch mit zu seinem Haus ins Waldviertel. Die verschiedenfarbigen Deckel der Mülltonnen beleidigen sein Auge, also beschließt er, sie hinter einem Strauch zu verstecken. Kaum ist dieser eingepflanzt, kommt eine Kröte und zerstört ihn. Menasse geht mit dem Spaten auf das Tier los: "Ich hatte eine unfassbare Wut." Und: "Die Angst ist eine hässliche Kröte."
Es wird nicht ganz klar, worauf er mit der Geschichte abzielt. Aber sie prägt sich stärker ein als seine Europa-Werbung.