Der Europäische Landbote

Die Wut der Bürger und der Friede Europas oder Warum die geschenkte Demokratie einer erkämpften weichen muss
128 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783552056169
Erscheinungsdatum 24.09.2012
Genre Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Verlag Zsolnay, Paul
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Kurzbeschreibung des Verlags

Robert Menasse reist nach Brüssel und erlebt eine Überraschung nach der anderen: offene Türen und kompetente Informationen, eine schlanke Bürokratie, hochqualifizierte Beamte und funktionale Hierarchien. Kaum eines der verbreiteten Klischees vom verknöcherten Eurokraten trifft zu. Ganz im Gegenteil, es sind die nationalen Regierungen, die die Idee eines gemeinsamen Europa kurzsichtigen populistischen Winkelzügen unterordnen. Damit werden sie zu Auslösern schwerer politischer und wirtschaftlicher Krisen in der EU. Menasses furioser, dem Geist Georg Büchners verpflichteter Essay fordert nichts weniger als "die Erfindung einer neuen, einer nachnationalen Demokratie".

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FALTER-Rezension

Wo geht's zum ewigen Frieden?

Wolfgang Zwander in FALTER 49/2012 vom 07.12.2012 (S. 10)

Die EU hat den Nobelpreis gewonnen. Wie kann Europa Friedensmacht bleiben? Zehn Antworten

Am 10. Dezember wird in Oslo der Friedensnobelpreis an die EU verliehen. Die Auszeichnung fällt in eine Zeit, in der die Union in der größten Krise seit ihrem Bestehen steckt. Der Falter fragte zehn Denker: Was muss aus Europa werden, damit die EU den Friedensnobelpreis in 50 Jahren erneut erhält?

"Europa fehlt der alte demokratische Grundsatz:
One Man, One Vote"
Es gibt zwei Herausforderungen, die die EU bewältigen muss, will sie in 50 Jahren wieder für den Friedensnobelpreis in Betracht kommen.
Problem eins betrifft die innere Reorganisation. Damit meine ich die Fähigkeit der Union, in Europa Frieden zu halten. So wie Europa zurzeit organisiert ist, gilt hier nicht der alte demokratische Grundsatz: One Man, One Vote – es gibt kein gleiches Gewicht der Stimmen. Die Bewohner kleiner Staaten haben einen unverhältnismäßig hohen Einfluss.
Der Einfluss eines Luxemburgers ist teilweise 15-mal so hoch wie der eines Deutschen. Das ist unbefriedigend, weil damit die starken Akteure, die letzten Endes Europa tragen müssen, marginalisiert werden.
Das klingt jetzt vielleicht merkwürdig, weil augenblicklich alle Welt ruft: Frau Merkel bestimmt den Kurs ganz allein. Das stimmt so aber nicht. Will Europa erfolgreich bleiben, muss das Zentrum gestärkt werden, sei es in Form einer stärkeren Machtkonzentration in Brüssel oder einer wie auch immer gearteten Achse zwischen Berlin und Paris.
Ich meine damit allerdings nicht, dass sich die EU in absehbarer Zeit zu einem Superstaat entwickeln wird. Fast im Gegenteil: Die Nationalstaaten werden in den kommenden Jahrzehnten mächtig bleiben und weiterhin den Takt der Union vorgeben.
Europas großes Problem Nummer zwei bezieht sich auf seine Nachbarn im Süden und im Südosten; also auf die afrikanischen Mittelmeerstaaten und die Regionen, die über die Türkei hinaus bis zum Kaukasus reichen.
Die EU muss es schaffen, diese Regionen politisch und ökonomisch zu stabilisieren, damit es nicht zu einer permanenten Armuts- und Elendsmigration kommt. Das Ergebnis davon wären militärisch scharf gesicherte Grenzen und eine hermetische Abschottung hinter Stacheldrahtzäunen. Das würde Jahr für Jahr tausende Menschenleben kosten und wäre sicher nicht friedensnobelpreisverdächtig. Europa muss hereinbrechende Ränder verhindern.

"Soll es die EU in 50 Jahren noch geben, braucht sie ein zentral gesteuertes Budget"
Ich möchte es kurz halten: Um weitere 50 Jahre zu überleben, was ja die Grundvoraussetzung dafür ist, dass Europa auch weiterhin ein erfolgreiches Friedensprojekt bleiben kann, braucht die EU vor allem eine einheitliche Haushaltsplanung, ein zentral gesteuertes EU-Budget.
Um das zu ermöglichen, bedarf es demokratisch organisierter Institutionen in Brüssel, die das Leben aller EU-Bürger betreffen.

"Europa darf nicht zur Kirchturmpolitik zurückkehren"
Die EU ist das beeindruckendste Friedensprojekt der Welt – nicht nur, weil sie Europa von der Geißel des Krieges erlöst hat. Die Union hat auch in ihrer Nachbarschaft hohe politische Wellen ausgelöst – weil ihre Werte über ihre Grenzen hinaus Kraft zur Veränderung spenden.
Was die politische Machtausübung anbelangt, ist die EU die größte Innovation seit der Entstehung des Nationalstaats vor 500 Jahren.
Die Union hat ihren Bürgern gezeigt, dass sie einerseits in bürgernahen Kleinstaaten leben können und andererseits trotzdem den Schutz und die Größenvorteile eines Binnenmarktes mit 500 Millionen Konsumenten genießen. Diese schiere Größe der EU ermöglicht es auch, fundamentale internationale Probleme anzugehen und zu lösen – von der Organisierten Kriminalität bis zum Klimawandel.
Noch wichtiger: Die EU hat ein neues Kapitel in puncto zwischenstaatlicher Sicherheit aufgeschlagen. Die Union folgt nicht mehr der alten politischen Logik, die besagt, dass es zwischen den Staaten ein Gleichgewicht der Macht geben soll und dass man sich in Angelegenheiten fremder Staaten nicht einzumischen habe. Das EU-Modell von Sicherheit basiert auf ökonomischer, politischer und vor allem rechtlicher gegenseitiger Abhängigkeit. In Europa wird heute nicht mehr auf dem Schlachtfeld gekämpft, sondern in den Gerichtshöfen.
All das hat dazu geführt, dass die EU schon jetzt viele Regionen auf der ganzen Welt zu mehr Integration inspiriert.
Um in 50 Jahren noch einmal den Friedensnobelpreis zu erhalten, muss die Union nun ihre eigenen Errungenschaften retten. Das Projekt Vereintes Europa steht heute vor der größten Bedrohung seit seinem Bestehen: Den EU-Volkswirtschaften blüht ein verlorenes Jahrzehnt, Populismus und Ausländerfeindlichkeit machen sich breit – nicht nur in Griechenland. Um diese drohende Katastrophe in den Griff zu bekommen, braucht es eine neue Form der europäischen Integration, die mehr auf Politik als auf Technokratie setzt.
Die Eurokrise muss zum Beispiel
so gelöst werden, dass sie keine unüberbrückbare Kluft zwischen den Euro- und den Nichteurostaaten schafft.
Bei all diesen Herausforderungen kommt der Nobelpreis gerade recht, um uns alle daran zu erinnern, dass wir in Anbetracht einer unbequemen und bedrohlichen Gegenwart nicht zur alten "Beggar my neighbour"-Politik zurückkehren sollten – was bedeuten würde, dass jede EU-Nation und die EU insgesamt wieder danach trachten würden, auf Kosten ihrer jeweiligen Nachbarn Kirchturmpolitik zu betreiben und mit Exportüberschüssen das volkswirtschaftliche Gleichgewicht zu zerstören.

"Die EU empfängt ihre Gäste mit Mauern und Stacheldraht"
Die EU müsste eine völlig andere Organisation werden, um sich den Friedensnobelpreis noch einmal zu verdienen. So wie sie jetzt besteht, ist die Union aus vielerlei Gründen kein würdiger Preisträger.
Der Vertrag von Lissabon sieht Aufrüstung und eine Erhöhung der militärischen Kapazitäten vor, was die EU auf schleichendem Wege zu einem Militärbündnis macht. Ein weiteres Argument gegen die diesjährige Auszeichnung sind die Sparmaßnahmen, die zwar Banken retten, aber Menschen in die Arbeitslosigkeit und die Obdachlosigkeit treiben.
Hinzu kommen Handelsabkommen mit armen Ländern, als dessen Folge die Volkswirtschaften in Entwicklungsländern mit hochsubventionierten EU-Waren zerstört werden.
Scharf zu kritisieren ist auch das Schengen-System und die Grenzschutzorganisation Frontex, die Europa in eine Festung verwandelt haben – die Union begrüßt ihre Gäste mit Mauern und Stacheldraht. Will sich die EU den Friedensnobelpreis irgendwann einmal wirklich verdienen, müsste sie eine Union werden, die Demokratie und Menschenrechte über Wirtschaftswachstum stellt.

"Die EU muss sich fragen:
Was folgt dem Kapitalismus?"
Früher lag die Frequenz der Kriege in Europa bei rund 30 Jahren. Nun ist es bisher fast 70 Jahre gelungen, einen Krieg innerhalb der EU zu verhindern. Das wollte man mit dem Friedensnobelpreis anerkennen, und das ist gut und richtig.
Wenn jedoch Europa in 50 Jahren wieder Kandidat für den Preis sein will, muss es ihn als Auftrag sehen, den Frieden zu erhalten.
Dazu gehört, dass Europa eine glaubwürdige Antwort auf folgende Frage findet: Was kommt nach dem Kapitalismus? Europa muss ein Wirtschafts- und Sozialmodell entwickeln, dass nachhaltig ist und mit geringem Wachstum auskommt.
Zudem muss die EU ihre Rolle im Rest der Welt stärker spielen lernen; Konflikte lassen sich in einer globalisierten Erde nicht mehr auf ferne Landstriche beschränken. Um mehr internationales Gewicht zu erreichen, brauchen wir, nicht erst in 50 Jahren, eine vergemeinschaftete Außen- und Sicherheitspolitik.
Drittens glaube ich, dass Europa seine kulturelle Identität bewahren muss, wenn es wieder Kandidat für den Friedensnobelpreis werden will. Die Identität Europas kann nicht, wie bisher, vor allem aus Pragmatismus bestehen. Die drei Identitätsfelder Region, Nation und Kontinent müssen gleichermaßen gewichtet werden. Ich bin zugleich Tiroler, Österreicher und Europäer – und nicht, wie früher, zuallererst Österreicher.
"Ein Gespenst geht um
in Europa – Europa"
Im Jahr 2002 standen Deutschland und Brasilien im Finale der Fußball-WM, und die meisten Italiener waren für Brasilien. Ich hingegen habe Deutschland die Daumen gedrückt. Warum, fragten mich meine Freunde? Als ich antwortete "Weil ich Europäer bin!", da waren sie perplex.
Der Sport hat eine politische Dimension, die alle Menschen auf der Welt interessiert. Zu einem Land "halten", bedeutet eine tief empfundene, politische Identifikation.
Das führt mich zur EU und zu den Problemen Europas: Die Union könnte den Friedensnobelpreis dann wieder gewinnen, wenn eine Mehrheit der Europäer Fans einer europäischen Mannschaft wäre, weil sie eine europäische ist.
Heute geschieht das nicht, weil der EU die Seele fehlt. Sie ist lediglich ein ökonomisches Joint Venture. Wir Europäer sprechen so viele verschiedene Sprachen, jedes Land hat sein eigenes Heer und seine eigene Außenpolitik.
Ein US-amerikanischer Soldat, der in Billings geboren ist, setzt in Afghanistan sein Leben für die Vereinigten Staaten aufs Spiel und nicht für den Bundesstaat Montana. Wenn ein Soldat aus Österreich oder Griechenland bereit wäre, für Europa zu sterben, könnten wir sagen: Ja, es gibt Europa.
Heute ist die EU ein Kunstprodukt, ein politisches Fantasma. Mit Karl Marx könnte man sagen: Ein Gespenst geht um in Europa – Europa.
Sicher, es gibt Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen EU-Staaten, aber vor allem in dem Maße, in dem sie alle amerikanisiert sind. Die EU ist eine Mischung aus wirtschaftlichem Kalkül und Amerikanisierung. Natürlich sind die meisten Europäer Christen, aber sie sind, verglichen mit den US-amerikanischen und afrikanischen Glaubensbrüdern, keine strenggläubigen Christen.
Erst wenn sich die Millionen europäischer Muslime eines Tages als Europäer fühlen werden, wird Europa endlich nicht mehr jener Kontinent sein, der jahrhundertelang den Islam bekämpft hat.
Seit mehr als 20 Jahren driften die europäischen Nationen auseinander, etwa Jugoslawien, die Tschechoslowakei, die baltischen Staaten, Belgien, Spanien und auch Italien. Dies geschieht fast immer auf der Grundlage ihrer jeweiligen sprachlichen Eigenheiten.
Wird es Europa noch geben, wenn alle Europäer Englisch sprechen? Ja, die EU wird den Nobelpreis vielleicht noch einmal gewinnen, aber nicht als Union, sondern nur als Europa. Der Zeitraum von 50 Jahren erscheint mir dafür aber etwas knapp bemessen.


"Das Unmögliche ist oft das Unversuchte"
Die EU braucht unsere Aufmerksamkeit und unsere Ideen. Zum ersten. Viele sagen, das alte Drehbuch der Integration entzünde doch keinen mehr. Falsch. Das Original ist großartig und hat kein Ablaufdatum.
Nur: Es dümpelt unerzählt vor sich hin. Oder kennen Sie einen Dokumentarfilm oder einen Bestseller über die Arbeitsweise von Jean Monnet, dem Initiator der Integration? Er war es, der die stolzen französischen Kohle- und Stahlbarone kurz nach Kriegsende dazu überreden konnte, sich mit ihren deutschen "Kollegen" an einen Tisch zu setzen – eine Sternstunde menschlicher Überzeugungskraft.
Die folgende Vergemeinschaftung der Kohle- und Stahlindustrie hat Deutschland politisch und Frankreich ökonomisch gerettet – und damit die Voraussetzungen für unsere Leben. Erstaunliches Detail: Jean Monnet war eine Art Ein-Personen-Unternehmen, ein "public interest entrepreneur".
Ja, er war bestens vernetzt, aber er agierte mit dem mentalen Spielraum eines Erfinders. Er war in seinen Ersthandlungen zur Integration nicht Mitglied einer Regierung, Bürokratie oder Partei. Er hatte ein Ziel (Frieden) und Ideen zum Weg dorthin (die Vergemeinschaftung des gefährlichsten Partikularinteresses: der Kriegsmaschinerie). Und damit zum zweiten Punkt, die EU braucht unsere Ideen.
Heute stellen wir uns in Start-ups oder als Social Entrepreneurs komplexen Aufgaben im Change-Management. Täglich überzeugen wir diverse Schläfer, Ignoranten und Gegner vom Aufbruch in die Zukunft. Doch als Generationen Erasmus, Facebook, X, X/Y und Y tun wir das kilometerweit weg von dem Ort, wo die Rahmenbedingungen unserer Leben verhandelt werden: in Politik und Verwaltung.
Wir, Vertreter des innovativen, des privat- und zivilgesellschaftlichen Europas müssen uns dem politischen Europa zuwenden. Motto: "Das Unmögliche ist oft das Unversuchte" (Jim Goodwin).

"Souveränität der Menschheit
als oberstes Credo"
Die EU muss weiterhin jeden Tag beweisen, dass die von Zäunen, Mauern und Stacheldraht umgebenen Nationalstaaten weniger wichtig sind als die Wege, Flüsse und Meere, die die Menschen verbinden.
Was Deutschland mit dem Fall der Berliner Mauer vorgemacht hat, muss Europa als Ziel seiner täglichen Anstrengungen dienen.
Egal, ob bei der Bekämpfung des Klimawandels oder bei der Neuordnung der Finanzmärkte, wir müssen Schluss machen mit der Souveränität der Nationalstaaten, die schon jetzt viel zu oft nur eine leere Hülse ist. Stattdessen sollten wir uns das zum Credo machen, was Alexis de Tocqueville die "Souveränität der Menschheit" nannte.
"Preis könnte Waffe für Demokratie sein"
Ich finde, die EU hat den Friedensnobelpreis nicht verdient. Wenn man den Preis an Dissidenten in autoritären Regimen verleiht, wird er zur Waffe für die Demokratie und kann Leben retten. In den Händen der EU-Politiker ist er nur ein symbolisches Brimborium.
Außerdem vertritt die Union in Europa und auf der ganzen Welt die exklusiven Interessen der Konzerne. Einst waren in den Entwicklungsländern so viele Hoffnungen auf Europa gerichtet, doch diese wurden von den Europäern bitter enttäuscht.
In Afrika und Teilen Asiens steht die EU heute für Hunger und Elend. Erst wenn in dieser Frage eine entschiedene Wende gelingt, würde die Union den Friedensnobelpreis verdienen.

"Die EU wäre eine
normsetzende Friedensmacht"
Um 2062 wieder zum Zug zu kommen, müsste die EU verstärkt supranational agieren. Ihre Schwächen - Intransparenz, Kompetenzüberschneidung, Unübersichtlichkeit – wären zu beseitigen. Vor allem im Fall von internationalen Krisen müsste sie mit einer Stimme sprechen und in der Außen- und Sicherheitspolitik mit Mehrheitsentscheidungen vorgehen.
Das Europäische Parlament sollte ein Gesetzesinitiativrecht besitzen und die EU als Ganzes mit mehr Finanzkraft ausgestattet werden. Einem europäischen Finanz- und Wirtschaftsregime sollte die politische Union folgen.
Die EU bliebe getragen von einem stabilen Kerneuropa (Deutschland-Frankreich-Benelux) und sie wäre gemeinsam mit der Türkei (die dann ein Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums wäre) ein Brückenland und Mediator im Mittleren und Nahen Osten – und somit in der Lage, den Friedensprozess in dieser Region zu fördern.
Zu Russland müsste die Union als Teil Europas die "strategische Partnerschaft" weiter ausbauen und damit den dortigen Demokratisierungsprozess konditionieren. Die EU wäre ein Mittler zwischen USA und China, der sich global nicht durch Militärintervention auszeichnet, sondern durch Rechts- und Kulturexport als normsetzende Friedensmacht.

In dieser Rezension ebenfalls besprochen:

weiterlesen

Mit Marx und Joseph II. für ein neues Europa

Michael Fleischhacker in FALTER 42/2012 vom 19.10.2012 (S. 18)

Der Schriftsteller Robert Menasse träumt in seinem neuen Essay von einer Europäischen Union, die den Nationalstaat hinter sich lässt

Dass das Nobelpreiskomitee den diesjährigen Friedensnobelpreis der Europäischen Union zugesprochen hat, wird der Schriftsteller Robert Menasse möglicherweise seinem eigenen Einfluss zuschreiben.
In seinem jüngsten Essay "Der Europäische Landbote – Die Wut der Bürger und der Friede Europas" argumentiert er ganz ähnlich wie die Nobelpreisjury, will heißen die Jury folgt wenig überraschend seiner überzeugenden Argumentation, die da lautet, dass die Europäische Union einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der "schäbigen Ideologie" des Nationalismus geleistet habe, der Europa die Jahrhunderte zuvor in eine blutige Auseinandersetzung nach der anderen getrieben habe.
Auch die zunächst nur protokollarisch anmutende Frage, wer denn in Oslo erscheinen werde, um den Preis entgegenzunehmen, hat Menasse, ihre zentrale Bedeutung erkennend, bereits in seinem Buch schlüssig beantwortet: Kommissions- und Parlamentspräsident gemeinsam, keinesfalls aber der Ratspräsident.
Der Rat ist nach Menasses Analyse die Ursache des gegenwärtigen europäischen Übels, vor allem in ideologischen Fragen: "In der Kommission sitzen nicht die Neoliberalen, zumindest haben sie dort nicht die Deutungshoheit über die Welt. Der neoliberale Einfluss kommt über die nationalstaatlichen Interessen herein."
Früher war das anders. Menasses seinerzeitige EU-Ablehnung rührte nicht zuletzt daher, dass er in der Kommission so etwas wie das neoliberale Zentralkomitee vermutete. Der Manichäer bleibt, wie man sieht, ein Manichäer – auch als Renegat.

Demokratische Sondermülldeponie
Ginge es ihm nicht so stark um die Befriedigung ideologischer Bedürfnisse (oder, wie Menasse von sich sagen würde, um die Herstellung des richtigen statt eines fehlgeleiteten Bewusstseins), wäre man geneigt, dem Dichter zuzustimmen. In der Tat scheint der Rat das Problem im dysfunktionalen Institutionendreieck der gegenwärtigen Union zu sein.
Der Lissabon-Vertrag ist bei weitem nicht der demokratiepolitische Fortschritt, als der er von seinen Promotoren gepriesen wurde; er hat den Rat sehr und das Parlament ein wenig gestärkt, aber im Gegenzug die Kommission geschwächt.
"Demokratie" möchte Robert Menasse aber ohnehin nicht in unserem altmodischen, landläufigen Sinn verstanden wissen. Unsere landläufige Vorstellung von Demokratie sei nämlich gewissermaßen nationalstaatlich kontaminiert, weshalb man "den Demokratiebegriff neu zu interpretieren" und "seine nationalstaatlichen Ausprägungen auf der Sondermülldeponie der Geschichte zu entsorgen" habe. Denn: "Die Verteidigung einer Demokratie, die ein Konstrukt aus dem 19. Jahrhundert, des Nationalstaats ist, verschärft nur auf unproduktive Weise die Widersprüche des Ganzen." Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Infragestellung der Demokratie durch den Anarcholiberalen Hans Hermann Hoppe ("Der Gott, der keiner ist") marxistisch-josephinisch beantwortet werden würde.
Robert Menasses Antwort auf die Antiquiertheit des nationalistischen 19. Jahrhunderts ist ein Rückgriff auf das aufgeklärt absolutistische 18. Jahrhundert. Sein Ideal ist der josephinische Beamte, der, aufgeklärt, wie er ist, das unaufgeklärte Volk zu seinem Besten regiert, der nicht, wie die altmodischen nationalen Regierungen, von der Laune des Volkes abhängig ist, sondern nur seiner Vernunft und seinem aufgeklärten Bewusstsein folgt.
Um in der besten aller Welten zu leben, müsse man nur, das allerdings rasch und konsequent, den Rat abschaffen und ein klassisches (übrigens bisher ausschließlich im Nationalstaat erprobtes) Gewaltenteilungsmodell zwischen dem Europäischen Parlament als Legislative und der Europäischen Kommission als Exekutive etablieren.
Wie das alles vonstattengehen soll, ist nicht Gegenstand von Robert Menasses Überlegungen. Und wie in jedem seiner Texte wartet er auch in diesem mit einer Reihe von Kalauern auf, gelungenen und weniger gelungenen. Zu den gelungeneren gehört der "Präfixbürger", eine Zusammenführung von Wutbürger und Mutbürger auf höherer sprachlicher Ebene. Menasse schreibt aber auch: "Europa ist in Wahrheit ein Europa der Regionen." Das könnte auch von Michael Spindelegger sein.

Ein Denkmal für den Eurokraten
Wer es ohne Kalauer, ideologisch etwas abgerundeter, aber durchaus auch im linken Mainstream haben will, sollte sich die aktuelle Ausgabe von Foreign Affairs besorgen. Dort stellen Timothy Garton Ash, C. Fred Bergsten und Adam Tooze die Frage "Is Europe Kaput?" und kommen, von der Umwertung aller demokratischen Werte abgesehen, zu ähnlichen Ergebnissen wie Menasse.
Eine fast traurige Tönung erhält die Lektüre des "Europäischen Landboten", wenn man das Buch unter der Perspektive seines eigentlichen Zwecks liest. Robert Menasse ging nach Brüssel, um für einen Roman zu recherchieren, den er schreiben will, einen "Vorabend"-Epochenroman wie Doderers "Dämonen", Manns "Zauberberg" oder Musils "Mann ohne Eigenschaften".
Am Ende seiner nun veröffentlichten Materialsammlung schreibt Menasse, dass ihn diese Idee nicht loslässt. Fast 100 Seiten davor lesen wir: "Es war vielleicht eine schrullige Idee, aber ihr eine Zeitlang nachzugehen, war überaus lehrreich. Ich hatte die Idee, einen Roman zu schreiben, der in Brüssel spielt und dessen Hauptfigur ein Beamter der Brüsseler Kommission ist."
Robert Menasse hat diesem Beamten in abstracto ein Denkmal gesetzt. Als Hauptfigur eines "Vorabend"-Großromans werden wir ihn aber wohl nicht mehr erleben. Bleibt zu hoffen, dass es dem Autor besser ergeht.

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Über den Autor

Robert Menasse wurde 1954 in Wien geboren. Er absolvierte ein Studium der Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina. Anschließend lehrte er sechs Jahre lang an der Universität São Paulo und hielt vor allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien ab. Seit 1988 lebt Menasse als bekannter Romancier und Essayist zumeist in Wien. Seine erste Publikation "Nägelbeißen" erschien 1973 in der Zeitschrift "Neue Wege". Zu den bedeutendsten Werken Menasses zählt die "Trilogie der Entgleisung", welche sich aus "Sinnliche Gewissheit", "Selige Zeiten, brüchige Welt", "Schubumkehr" und der Nachschrift "Phänomenologie der Entgeisterung" zusammensetzt. Bekanntheit als Essayist erlangte er mit "Die sozialpartnerschaftliche Ästhetik" oder "Das Land ohne Eigenschaften". Für sein Werk wurden dem Schriftsteller unter anderem der Hölderlin-, Doderer-, Kaschnitz- und Fried-Preis sowie der Österreichische Kunstpreis verliehen.

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