

Der Journalist als Alkoholiker und Glückspilz
Stefan Ender in FALTER 36/2014 vom 05.09.2014 (S. 35)
In "Geschenkt" macht Daniel Glattauer alles genau so, wie es seine Fans erwarten dürfen. Ab damit ins Hauptabendprogramm!
Der Journalist blickt mitunter mit einer Mischung aus Sehnsucht und Neid auf den Romanautor, schlummert doch zwischen zwei Buchdeckeln nicht nur das Versprechen auf eine längerfristige und weiträumigere Wirkung der eigenen Wortarbeit, sondern auch die Verheißung von viel, viel Kohle. Daniel Glattauer hat den Berufswechsel vom Journalisten beim Standard zum Romanautor gewagt und ist dafür mit Millionenauflagen (wie etwa für seinen E-Mail-Roman "Gut gegen Nordwind") und wahrscheinlich auch mit dem einen oder anderen Euro belohnt worden.
Nun hat der österreichische Ex-Journalist einen Roman geschrieben, dessen Protagonist ein österreichischer Journalist ist: In "Geschenkt" – nicht zu früh freuen, das Buch kostet 20,50 Euro – erzählt Glattauer vom bierbegeisterten Passivitätsvirtuosen Gerold Plassek.
Der 43-Jährige werkt mit überschaubarer Initiativkraft beim Gratisblatt Tag für Tag, er hat dort Leserbriefe zu lesen und Kurzmeldungen aus dem Bereich Soziales zu verfassen. Aus dem bewölkten Himmel seiner fiktionalen Existenz fällt dem Wiener gleich zu Romanbeginn ein verschlossener 14-jähriger Sohn zu; mit Manuel versteht er sich aber von Seite zu Seite immer besser.
Eine mysteriöse Serie von Geldspenden, die sich jeweils an einem Kleinstartikel Plasseks orientieren, bewirkt, dass sich die graue Boulevardschreibkraft aufgrund deren medialer Resonanz am Ende des Romans als Starjournalist einer linksliberalen Tageszeitung wiederfindet. Auch beziehungstechnisch tun sich für den Single endlich Optionen auf: Manuels Dentistin scheint auf Plasseks Avancen anzubeißen. Bleibt neben dem vielen Glück für den Leser nur noch die Frage offen: Von wem, verdammt nochmal, kommen diese Spenden?
Diesen etwas simplen und in die Länge gezogenen Spannungsstrang löst Glattauer final auf eher maue Art auf: Thomas Brezina für Erwachsene. Auf den gut 300 Seiten davor ist in "Geschenkt" aber alles lustig, auch das Schlimme: Als Journalist und Österreicher ist Plassek klischeegemäß Alkoholiker, und zwar in einem Ausmaß, das zwar seinem Umfeld Anlass zu ernsthafter Sorge bietet, für den Leser aber eine Riesenhetz ist.
Und auch Plasseks Reibereien mit seinem ersten Chef, die Konfrontation mit seinem kommunikationsskeptischen Sohn und seine kümmerlichen Annäherungsversuche an die propere Zahnärztin sind weniger zwischenmenschliche Dilemmata als Abschussrampen, von denen die Pointenschleuder Glattauer mit Verve und hoher Treffsicherheit unzählige Ironiebömbchen abfeuert.
Als Leser gleitet man auf dem scherzgebohnerten, überraschungsfreien Handlungsgang fast etwas zu schnell dahin, alle auf den ersten Seiten geweckten Erwartungen werden brav erfüllt: Vater und Sohn verschmelzen zum großen Aufdeckerteam und mögen sich am Ende gar sehr, mit der strengen Zahnärztin scheint es was zu werden. Nur vor der finalen Trockenlegung des Alkoholikers Plassek kratzt Glattauer dankenswerterweise noch im letzten Moment die Kurve. Natürlich scheint hinter dem Protagonisten der Romanautor selbst und hinter dem schablonenhaft skizzierten Redaktionsalltag dessen ehemaliges journalistisches Wirken durch, aber Schlüsselroman ist "Geschenkt" trotzdem keiner.
Die Kombination der kulissenhaften Szenerie mit schrullig-liebenswerten Figuren und auf witzig frisierten Alltagsbeobachtungen lässt "Geschenkt" eher als eine ideale Vorlage für eine TV-Verfilmung erscheinen: 20.15 Uhr, ORF 1, die große österreichische TV-Komödie.
Fragt sich nur, wer den Plassek spielen soll? Alfred Dorfer ist zu durchtrainiert, Lukas Resetarits zu alt, Manuel Rubey zu jung, Tobias Moretti zu vital, Max von Thun zu schön und Fritz Karl wahrscheinlich schon anderweitig engagiert. Josef Hader würde das Zerknautschte hinbekommen und sich altersmäßig vielleicht gerade noch ausgehen. Okay, fragt den Hader! Der Tipp ist selbstverständlich geschenkt.