

Berufsalternativen für finanzschwache Autoren
Alfred Pfoser in FALTER 42/2008 vom 17.10.2008 (S. 28)
Früher drängte sich von Staats wegen die Idee auf, die Schriftsteller Bibliothekare werden zu lassen. Denn wer viel und gern liest, so die Überlegung, kann daraus gleich einen Beruf machen und die Leute überzeugen, dass sich Lesen lohnt. Dass die Realisierung nicht so ganz überzeugend war (bei Robert Musil etwa), weil sich die Bibliothekare mehr mit dem Ordnungmachen als mit dem Lesen beschäftigt, hat manche Schriftsteller, aber auch manche Arbeitgeber unglücklich gemacht.
Wegen seiner bizarren und trockenen Beobachtungen des Familienlebens im Geschichtenzyklus "Wände aus Papier" wurde der Wiener Schriftsteller Hanno Millesi, von der Kritik viel gelobt. In seinem jüngsten Buch "Der Nachzügler" schlägt er für Autoren nun eine Berufsalternative vor, die ebenso unzuverlässig ist wie die Idee mit dem Bibliothekar.
Sein Ich-Erzähler wird, mangels Aufträgen und Einkommen als Schriftsteller, im Auftrag einer Agentur ein professioneller Schnüffler: Er beobachtet Personen, spürt ihnen nach und schreibt Berichte. Schriftsteller sind nun mal Leute, die genau beobachten, leidenschaftlich nachspüren und kreativ protokollieren müssen. Sie sind Ermittler.
Der Ich-Erzähler könnte sich auch Privatdetektiv nennen, aber das wäre zu großspurig. Ein Verbrechen oder ein krimineller Akt, den es aufzuklären gälte, liegt keiner vor, sondern es ist etwas anderes, von dem man freilich nichts Genaues weiß. Wahrscheinlich will die Firma, die Herrn X, beschäftigt, ihn einfach los werden. Es gibt jedenfalls einen Informanten dort, der dem Ermittler immer wieder mal auf die Sprünge hilft, wenn sich was Besonderes abspielt.
Aber was gibt es schon Außergewöhnliches im Leben dieser "Zielperson"? Die streicht bloß durch die Stadt, vertrödelt Zeit, sucht eine Konditorei und Fast-Food-Lokale auf, fährt in fremde Städte und ans Meer, trifft gelegentlich einen anderen Herrn namens T.
Eigentlich ist diese "Zielperson", über dessen Vergangenheit wir so viel wie nichts erfahren, ein armer, einsamer Kerl, der im Alltags- und Berufsleben immer mehr entgleist, an Herz- und Psychoproblemen leidet und selbst für seine Einweisung in die Psychiatrie sorgt. "Entscheidendes – das lernt jeder irgendwann –, Entscheidendes ereignet sich lediglich an vereinzelten Höhepunkten. Dazwischen liegen ausgedehnte Phasen, in denen gar nichts geschieht", bilanziert der Ich-Erzähler staubtrocken, mit klinischer Präzision.
Es ist den Lesern und Kritikern von Millesis früheren Büchern schon aufgefallen, dass dessen Sprache sich bizarr an den alltäglichen Gegenständen abmüht und an Robert Walser erinnert. So führt auch dieser Text seine Hauptperson immer an die Grenzen der Lächerlichkeit, lässt sie monströs und pedantisch erscheinen, als einen etwas unangenehmen Grantler mit hohem Reflexionsniveau.
Immerhin haben wir es im vorliegenden Fall mit einem "experimentellen Autor" zu tun, der seinen ganzen literarischen Existenzschmerz in Klagen, Unmut, Zorn und Verschwörungspläne verpackt und der sich in seiner Suada ausführlich über viele Facetten des Schreibens und des Literaturbetriebs auslässt. Als ob er auf der Couch läge, dreht er wortreich und selbstzweiflerisch an seinen literarischen Befindlichkeiten, an seinen Selbst- und Fremdbezichtigungen. Das wirkt ziemlich selbstverliebt rhapsodisch, über Strecken frappant komisch.
So träumt der Ich-Erzähler davon, eine "verbitterte Vereinigung", eine "literarische Guerillatruppe" zu gründen, die "Podiumsdiskussionen, Preisverleihungen, Langweilerinnen- und Mistkerllesungen" stürmt und Teilnehmer demütigt, "es sei denn sie schlagen sich rechtzeitig auf die Seite der Guerilleros". Da treibt im Kopf des Autors der Aufruhr sein Unwesen, um dann wieder an der jämmerlichen Realität zu zerschellen. "Ein Bittgesuch zu entwerfen, diesen Entwurf in der Folge an einen der zuständigen Beamten zu richten und abzuschicken, stellt bisweilen eine größere Herausförderung dar, als ein Kunstwerk, das der Künstler als Idee ab einem bestimmten Moment mit sich herumträgt, in die ihm adäquate Form zu bringen."
Nach allen trügerischen und fatalen Seiten hin vermisst der "experimentelle Schriftsteller" den Literaturbetrieb und entdeckt viel Trostlosigkeit. Ist der Schriftsteller in seinem Frust eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit? Der verfolgte Herr X macht es vor, wie sich die Sache lösen ließe. Er leiht sich ein Rad und fährt einfach auf und davon. Der Verfolger hat das Nachsehen.