Binge Living

Callcenter-Monologe
150 Seiten, Taschenbuch
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ISBN 9783950335965
Erscheinungsdatum 29.11.2013
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag redelsteiner dahimène edition
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Kurzbeschreibung des Verlags

Erzählungen aus dem Alltag einer Callcenter-Sklavin. Bei besagter
Callcenter-Sklavin handelt es sich nicht um irgendwen, sondern
um die seit einigen Monaten bereits von Feuilleton und Hipster-
Blogs gleichermaßen gehypte, neue österreichischen Literatur-
Sensation Stefanie Sargnagel. „Die Callcenter Monologe“ sind ihr
Debüt-Werk, eine irrwitzige Mischung aus Tagebuch-Einträgen
und Facebook-Roman.

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ISBN 9783950335965
Erscheinungsdatum 29.11.2013
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FALTER-Rezension

Süßes Mädel mit kaputtem Schädel

Gerhard Stöger in FALTER 48/2013 vom 29.11.2013 (S. 32)

Das Wiener Underground-Liebkind Stefanie Sargnagel setzt mit ihrem Buchdebüt zur Welteroberung an

Stefanie Sargnagel hat sich ein grindiges Lokal für das Interview ausgesucht. Warum auch nicht, es sollte schließlich charakteristisch für sie sein, und die Einnahme alkoholhaltiger Getränke in nicht eben schickem Ambiente zieht sich nun einmal durch "Binge Living", das Buchdebüt der jungen Wienerin. Sein Titel leitet sich vom binge drinking ab, dem Komasaufen.
Das Schmauswaberl bei der Kettenbrückengasse sollte es werden, ein Beisl, in dem Junkies, Freaks und Outlaws verkehren und dessen Atmosphäre Sargnagel ebenso schätzt wie die Gespräche mit den Gästen. Nur hat es überraschenderweise geschlossen, und das Interview muss ein paar Häuser weiter stattfinden.
Das ist vielleicht auch besser so. Vor dem Schmauswaberl wundert sich nämlich ein Stammgast ebenfalls über die verschlossene Tür. Und noch mehr wundert er sich, wie man ein Gespräch nur mit einem Aufnahmegerät dokumentieren könne. Paranoia!

Stefanie Sargnagel ist ein Liebkind der Wiener Subkultur. Die stets mit roter
Baskenmütze auftretende Kunststudentin aus der Klasse des deutschen Malers Daniel Richter zeichnet so minimalistische wie pointierte Witze, gestaltet ein kleines kopiertes Fanzine, bastelt entzückende Grußkarten,
schreibt bisweilen für das Hipster-Schmuddelblatt Vice und verwendet Facebook als Tagebuch. Ihr Metier ist das Tragisch-Komische.
Sargnagel montiert ihre Statusmeldungen zu einem schmutzigen Poesiealbum, in dem sie über Gott und die Welt philosophiert, ihre Freude am Fäkalen auslebt, von abenteuerlichen Reisen per Autostopp erzählt, über das Callcenter schimpft, in dem sie Teilzeit arbeitet, Promis treffsicher verarscht, vom Exzess berichtet und immer wieder Selbstreflexion betreibt. Zugespitzt, ironisch und unglaublich komisch.
"Ich bin ein süßes Mädel mit einem kaputten Schädel", heißt es da; "Ich bin das Eiter in heiter" oder "Ich bin zu verkopft für eine Partymaus, aber zu versoffen für eine Intellektuelle".
Zwischendrin kommen die mehr oder weniger großen Erkenntnisse: "Egal wie viel man schläft, frisst, weint, putzt, fickt, man wird wieder müde, hungrig, traurig, dreckig und geil" oder "Drei Vorschläge, die innere Leere zu füllen: Essen, Alkohol, Penis". Und Parolen der Marke provokanter Blödsinn gibt es auch: "Erfolg ist wie Joggen, etwas für Nazis."

Rund 1300 Facebook-Freunde lesen mit. Die meisten davon kennt Stefanie Sargnagel zumindest flüchtig persönlich, und sie kann darauf bauen, dass ihr Schmäh verstanden wird. Und damit Provokantes wie "Am Feminismus mag ich am liebsten dieses Hasserfüllte, Frustrierte". Denn eigentlich versteht sich die Autorin selbstverständlich und durchaus streitlustig als Feministin.
"Binge Living" verdichtet eine Auswahl dieser Facebook-Texte zu einem unglaublich lustigen und berührenden Buch, einem modernen Künstlerroman, der im jungen Wiener Verlag RDE erscheint. Erstmals hat die ­Facebook-Poetin damit keinen direkten Kontakt mehr zu ihren Lesern. "Ich bin natürlich gespannt, wie es aufgenommen wird, aber auch ein wenig besorgt", sagt sie. "Wenn man alles liest, sollte im Gesamtkontext aber schon ein richtiges Bild entstehen."
Mit dem Thema Shitstorm hat sie schon Erfahrungen gemacht. Schwerst verkatert gab sie sich 2006 auf dem Höhepunkt der Aufregung um Natascha Kampusch als vergessene Keller-WG-Mitbewohnerin aus und stellte irritierende Kurzvideos ins Netz, für die sie massenhaft User-Watschen kassierte. "Sie sind schon sehr edgy", sagt die Künstlerin im Rückblick über die Videos. "Aber es war kein Diss, denn ich bin ein großer Fan von Natascha Kampusch, von ihrer dominanten Ausstrahlung, ihrer ehrlichen Misanthropie und ihrer seltsamen Sprache. Die Videos waren eine schwarzhumorige Reaktion auf den Wahnsinn."

Wie ihre literarische Figur trinkt Stefanie Sargnagel beim Interview Bier. Sie raucht eine selbstgedrehte Zigarette nach der anderen und ist wie in ihrem zwar überzeichneten, aber durchwegs autobiografischen Buch von entwaffnender Offenheit. Ob es tatsächlich vorkomme, dass sie nach einem Filmriss das Feuerzeug eines Swingerclubs in der Tasche finde? "Ja, aber ich gehe davon aus, dass ich nicht wirklich dort war, sondern das bei jemandem abgestaubt habe, der mir Feuer gegeben hat."
Sargnagel hat etwas Naives, aber es ist keine einfältige, sondern eine klarsichtige Naivität, die keine Diplomatie und kein strategisches Kalkül kennt. Bei aller Direktheit hat die Autorin aber auch etwas Nachdenkliches. Sie will nicht nur Pointen liefern, vor den Kopf stoßen und durch Überzeichnung entlarven, sie will verstanden werden – und selbst verstehen.
"Wer ist Stefanie Sargnagel?" lautet die letzte Frage des Gesprächs. "Keine Ahnung", die Antwort, und der zugehörige Gesichtsausdruck signalisieren: depperte Frage! "Vermutlich sollte ich jetzt etwas sehr Kluges sagen, aber ich finde die Frage einfach zu aufgesetzt." Ruhe lässt sie Sargnagel aber keine. Tage nach dem Interview schickt sie ein SMS: "Die treffendste Antwort wäre vielleicht, dass Sargnagel eine Parodie von mir auf mich ist."

"Person und Kunstfigur lassen sich bei Stefanie Sargnagel oft nicht trennen", sagt Stefan Redelsteiner, einer der zwei Betreiber des RDE-Verlags. "Das kann natürlich auch gefährlich sein, da muss sie aufpassen." Und dann beantwortet Redelsteiner, der auch hinter dem Plattenlabel Problembär mit Künstlern wie Der Nino aus Wien steckt, die zuvor gestellte Frage.
"Stefanie Sargnagel ist ein Mensch, der hinter Fassaden und Masken schauen kann und oft erschrickt, was da zu sehen ist. Das versucht sie dann mit zynischem Humor oder gespielter Wurschtigkeit zu verarbeiten. Sie ist eine Romantikerin, die mit Grind, Witzen und Alkohol davon abzulenken versucht, dass sie sich in Wahrheit nach ganz einfachen, schönen Dingen sehnt und die Deppertheit des Universums oft nicht packt."
Warum RDE Sargnagels hingeworfene Internettexte als Buch herausgibt? "Weil sie, hingeworfen oder nicht, unglaublich gut sind. Wie den wirklich großen österreichischen Schriftstellern gelingt es ihr, das Lächerliche um und teils auch in uns zu entlarven. Anders als die meisten dieser großen Schriftsteller bekommt sie das aber auf eine unglaublich unprätentiöse Weise hin."
Als Schriftstellerin will die Neo-Autorin indes nicht bezeichnet werden. Warum eigentlich? "Das entspricht nicht meinem Selbstbild, die Texte sind während der Arbeit im Callcenter ja einfach nebenher passiert." Also lieber: Künstlerin? "Nein, in dieses Milieu bin ich auch eher zufällig geraten. Ich hatte nie das Bedürfnis, Kunst zu machen, weil mir das zu abgehoben ist. Humor ist etwas sehr Demokratisches. Ganz anders als Malerei, wo Bilder von Sammlern gekauft werden und später vielleicht irgendwann im Museum landen."
Sargnagel – im Buch nennt sie sich Steffi Fröhlich – heißt eigentlich Sprengnagel; der Künstlername ist ihr also in den Schoß gefallen. Aufgewachsen ist sie in der Hernalser Geblergasse, wie Christine Nöstlinger, ihre erste Heldin als Kind. Das Arbeitermilieu mit bäuerlichen Wurzeln von Sprengnagels Familie konterkarierte die bürgerliche Schule in Währing, die Lust an der Unverblümtheit blieb.
"Eine derbe Sprache war bei meiner Familie ganz normal", sagt Sargnagel. "Bei uns hat man auch mal am Tisch einen fahren lassen, während meine bourgeoisen Schulfreunde beim Eichentisch unterm Luster saßen und sich beim Essen eine Serviette auf den Schoß legen mussten. Ich wusste, dass ich mich da anders verhalten und auch anders ausdrücken musste, aber ich fand es zu Hause immer ehrlicher und direkter. Dazu kommt, dass man als Frau gewissermaßen zum Selbstekel erzogen wird und man dadurch erst Recht das Bedürfnis hat, sich förmlich zu outen als Mensch mit Auswürfen, Körperbehaarung, Sexualtrieb und Cellulite."

Das Gymnasium schmiss Sargnagel im Maturajahr wegen Renitenz, zu diesem Zeitpunkt schrieb sie bereits ein Blog. Der Versuch Abendschule scheiterte ebenfalls; ein spezielles AMS-Projekt für arbeitslose Jugendliche holte sie dann aus ihrer Lethargie: Gemeinsam mit "Ghettokids", wie sie sie liebevoll nennt, erarbeitete sie eine Hip-Hop-Oper. 2006 bewarb sich Sargnagel aus einer Laune heraus an der Akademie der bildenden Künste. Zehn Minuten vor Ende der Frist gab sie ein Billa-Sackerl ab, vollgestopft mit Kritzeleien aus alten Schulheften. Sie wurde genommen und realisierte erst danach, dass hinter der Richter-Klasse nicht Gerhard, der Alte Meister, sondern Daniel, der jüngere Meister steckt.
Gemeinsam mit Sargnagel fing 2006 auch Anja Plaschg ihr Studium in der Richter-Klasse an. "Ich habe selten mit ihr gesprochen", erinnert sich die Musikerin, die als Soap&Skin inzwischen Karriere gemacht hat und sich als Sargnagel-Fan der ersten Stunde bezeichnet. "In ihrem bekifften Ur-Wienerisch hatte sie eine sehr schlagfertige und direkte Art, die gleichzeitig überfordernd und magisch anziehend auf mich wirkte." So anziehend, dass sie der Zeichnerin einen Marzipankuchen in Form einer Scheide zum Geburtstag schenkte, aus dem ein Kinderkopf herauskommt – er steht noch heute in Sargnagels Tiefkühltruhe.
Stefanie Sargnagel gebe dem Wort "edel" eine ganz eigene Bedeutung, sagt Plaschg. "Sie ist in dem Sinne edel, dass sie sich nichts vormacht und damit auch mir nichts vormacht. Sie rennt weder los, noch geht sie ein paar Schritte zurück, um Anlauf zu nehmen. Ihre Sachen wirken ganz einfach, sie rühren an und demontieren."
An der Akademie fehlt Sargnagel nur mehr das Diplom. "Das Studium war vor allem für die Persönlichkeitsbildung gut, und ich habe gelernt, dass ich wahrscheinlich nicht in den Kunstbetrieb will, mir ist die Kunstwelt wirklich unsympathisch." Bei der letztjährigen Akademie-Ausstellung präsentierte Sargnagel ein Bild, das einen stilisierten Vogel über dem AMS-Logo zeigt. "Als Kunststudent gilt man als talentiert, und dann folgt ein Lebensweg zwischen sozialem Versager und gefeiertem Genie", erklärt sie das Bild. "Mir haben damals gerade viele frische Diplomanden über ihre AMS-Kurse erzählt. Der tragische Witz, dieses Logo mit Farben auf eine Leinwand zu malen, ist ja recht offensichtlich. Das Kitschig-Melancholische durch den Vogel als Symbol der Hoffnung gefällt mir auch gut."

Was ihre Zukunft bringen wird? Vielleicht wird sie Zeichenlehrerin, mutmaßt Sargnagel, aber ernst meint sie das nicht. Realistischer ist auch weiterhin ein Leben zwischen DIY-Markt und Galerie, Callcenter und Wirtshaus.
Glaubt man Soap&Skin, muss man sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen. "Man bekommt den Eindruck, als ob die Kunst es gut mit Stefanie Sargnagel meint", sagt die Musikerin. "Das spüre ich sofort."

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Über die Autorin

Stefanie Sargnagel, geboren 1986 in Wien, studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien Malerei und arbeitete mehrere Jahre im Call-Center. Seit 2016 ist Sargnagel als freie Schriftstellerin tätig und veröffentlichte unter anderem die Bücher "Binge Living", "In der Zukunft sind wir alle tot", "Der allerletzte Tag der Menschheit" und "Dicht". 2016 wurde ihr der Publikumspreis im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Preises verliehen, 2017 erhielt sie den Sonderpreis des Österreichischen Kabarettpreises.

Alle Bücher von Stefanie Sargnagel