

In der Not macht man Kohle mit Katzenkot
Anja Hirsch in FALTER 10/2010 vom 12.03.2010 (S. 23)
Ein üppiges Märchen unserer Zeit: In ihrem jüngsten Roman gibt Andrea Grill zwei Überlebenskünstlern eine zweite Chance
Menschen sind wie Kaffeepflanzen: Es gibt die Erfolgsverwöhnten, die meterhoch in den Himmel wachsen, resistent gegen Schädlinge und äußere Störfaktoren. Andere wuchern wild vor sich und verläppern, bleiben sie wirtschaftlich ungenutzt, ihre Tage unter Brücken, bis sie dann irgendwann überhaupt aussterben – es sei denn, es geschieht etwas Ungewöhnliches.
Andrea Grill erzählt eine solche Geschichte. In ihrem Roman "Das Schöne und das Notwendige" geht es um die Bewährung zweier Männer. Gerne mischt die Autorin, die über sardinische Schmetterlinge promoviert hat, ihrer Prosa Wissenshäppchen bei. Auch hier: Kurze Erklärungen über unterschiedlichste Sorten von Kaffeepflanzen stimmen auf die 40 Kapitel ein; ein gestalterisches Mittel, das nur dann Sinn macht, wenn es sich im Erzählten spiegelt.
Und tatsächlich: Während man diesen lexikalischen Schnipseln folgt, wird heimlich, still und leise eine Kulisse für jene zwei im Zentrum stehenden Freunde errichtet – witterungsgepeinigte Überlebenskünstler mit einer Idee, die am Ende dieser verrückten Geschichte fruchtbar gen Himmel ragen wird.
Dies ist die Kunst Andrea Grills: Literatur am Kreuzungspunkt von Wissenschaft und Leben durch ein skurriles Figurentheater zum Flimmern zu bringen. Vom Umbau zweier Leben erzählt sie, erlebt in der sengenden Hitze einer Großstadt, getragen von der Sehnsucht, das Schöne mit dem ökonomischen Zwang in Einklang zu bringen.
Ferdinand, genannt Fiat, bettelt zu Beginn des Romans in Zügen um Geld. Er liebt es, Schuhe anzuprobieren – aber nur, weil er sicher sein kann, dass die Verkäuferin ihn enttäuscht, denn seine Größe gibt es nirgends. Fiat ist eine jener unfreiwilligen Flaneure, deren Blicken man gerne folgt. Bei aller Mühsal hat er sich eine unangestrengte Naivität bewahrt.
Finzens, der sein Geld als Ruhestifter in einer Kathedrale verdient, holt ihn ins aktive Leben zurück. Die Männer-WG funktioniert gut, bis Fiat das Geld seines Gönners verspielt. Der verfällt, statt Trübsal zu blasen, auf eine kuriose unternehmerische Idee: Schleichkatzen, so hat er recherchiert, koten veredelte Kaffeebohnen. Warum nicht hier, in großstädtischen, europäischen Gefilden, die Katze als Goldbrunnen nutzen?
Und so soll sich, während Finzens schon mal den Vertrieb des edlen Katzenkaffees plant, Fiat als Tierpfleger in den heimischen Zoo einschmuggeln – dort nämlich gibt es, von Kameras bewacht, die seltene Art: einen Fleckenmusang, mit runden Ohren "wie kleine Kaffeelöffel". Nur füttern lässt sich der nicht, jedenfalls nicht mit in Schinken gewickelten Kaffeebohnen, sodass man das arme Tier irgendwann einfach klaut und im eigenen Wohnzimmer weiterexperimentiert.
Hier wird der Text etwas irreal und das Zusammenwohnen von Mensch und Tier zum Spannungsmoment ausgebaut: Die Schleichkatze kackt schließlich doch, was man durch ein Gehege im Zimmer noch zu fördern gedenkt. Auch Wald und Bäume nachzubauen ist im Gespräch – der Fleckenmusang liebt Rieseneichhornnester. Doch stirbt er, während der Kaffeeverkauf floriert. Nicht einmal einen Namen hatten die beiden Jungunternehmer ihrer treu verdauenden Maschine gegeben. Es gibt zum Glück aber bald eine neue Schleichkatze, viel Situationskomik, schicksalsträchtige Zufallsbegegnungen und noch einiges über das Leben zu lernen.
Der Mythos vom armen Genie mag als Vorlage gedient haben, steht aber nicht im Vordergrund. Diese dialogreiche, forsche Prosa wirkt in den vielen kleinen Randszenen, genau beobachteten Pastiches, denen oft eine Prise Magie innewohnt. Sie ist selbst in gewissem Sinn "organisierte Wildheit": Andrea Grill lässt Ideen wuchern und riskiert auch sprachlich oft eine originelle Üppigkeit. Manche Triebe ließen sich freilich stutzen. Das Ganze aber fügt sich zu einem Märchen unserer Zeit.
Lesung am 22.4., 19 Uhr im Oratorium der Nationalbibliothek