

Kirstin Breitenfellner in FALTER 36/2022 vom 07.09.2022 (S. 30)
Andrea Grill hat nicht nur ein Dutzend literarischer Werke verfasst und übersetzt, aus Sprachen wie etwa dem Albanischen, sie ist auch Naturwissenschaftlerin, und zwar promovierte Biologin, die an der Universität von Amsterdam über die Schmetterlinge Sardiniens promovierte. Über Schmetterlinge hat sie vor sechs Jahren auch in der wunderbaren Reihe Naturkunden von Matthes &Seitz ein "Porträt" verfasst. Nun verbindet sie ihre beiden Leidenschaften -und erklärt Heranwachsenden kurz vor der Pubertät die Evolution und damit nichts Geringeres als das Leben selbst. "Sam und die Evolution. Eine kurze Geschichte der Evolutionsbiologie" verbindet Sachinformation und Fiktion.
Der 13-jährige Icherzähler Samuel ist der Sohn einer Professorin für Evolutionsbiologie. Auf einer Wanderung verirrt er sich auf den falschen Berggipfel und findet dort einen Käfer. Was andere Mütter grausen oder kalt lassen würde, versetzt Sams Mutter in Entzücken, denn Sam hat eine neue Käferart entdeckt, für die er sogar selbst einen Namen wählen darf. Sam hat Lunte gerochen. Er beginnt, heimlich in der Bibliothek seine Mutter zu stöbern, die für ihn ab sofort nicht mehr bloß seine Mama ist, sondern eine Frau mit einem Beruf, für den sie leidenschaftlich brennt. Deswegen nennt Sam sie von nun an bei ihrem Vornamen, Fritza. Diese Fritza macht sogar krumme Sachen und nimmt Sam mitten im Schuljahr zu einer Konferenz nach Schweden mit. Im Flugzeug holt er sich eine Infektion - und hat infolgedessen noch mehr Zeit, sich mit seinem neuen Hobby zu befassen.
Sams Tagebuchaufzeichnungen werden unterbrochen und ergänzt von liebevollen Zeichnungen der Illustratorin Raffaela Schöbitz, von Infokästen, Comics und Grafiken. Dabei geht es nicht nur um evolutionsbiologisches Grundwissen, sondern auch um die Biografien herausragender Forscher. Fritza ist eine leidenschaftliche Erzählerin. Sie berichtet von Aristoteles, dem Ahnvater der modernen Wissenschaften, und Thomas von Aquin, der aus dem Orden, in den ihn seine Eltern gesteckt hatten, austrat, um Naturforscher und Denker zu werden. Oder von Carl von Linné, der nicht nur als Erster das Wort Biologie verwendet, sondern auch erstmals eine Theorie über die Entstehung von Lebewesen entwickelt hat, die er Evolutionstheorie nannte.
Daneben wird Abstraktes verhandelt: Ideen und Widersprüche, Ordnung und Chaos, der Zusammenhang von Wissenschaft und Religion. Auch Politisches bleibt nicht ausgespart. Forscher aus wohlhabenden Elternhäusern hatten es schon im Mittelalter in der Forschung leichter, betont Fritza, ihr Herz schlägt aber für jene, die sich selbst durchschlagen mussten. Von Charles Darwin gelangt sie zur Friedensaktivistin Bertha von Suttner und Barbara Rosemary Grant oder Katie Peichel und damit zur Frage, warum es so lange dauerte, bis die Beiträge von Frauen zur Evolutionsbiologie gewürdigt wurden.
Das alles ist bisweilen nicht wenig anspruchsvoll, aber auf jeder Seite spürt man, dass hier jemand schreibt, der sich nicht bloß für ein Kinderbuch etwas angelesen hat, sondern aus der Fülle der eigenen Erfahrung und, noch wichtiger, Begeisterung schöpfen kann. Edutainment vom Feinsten!